Leseproben
[Die Regenprozession]
Die holzigen Bergler und Berglerinnen, Ebner und Ebnerinnen wandern noch einige Zeit, schlagen sich geradewegs auf den Berg, kein Steg, kein Weg kommt ihnen mehr in die Quere, alle Seitenpfade haben sich zu einem einzigen Weg verbunden, sich zusammengeschlossen zu diesem letzten, vereinigten, unverwechselbaren und einzigen, zielsicher auf den Gipfel führenden Weg.
Weit unten am Fuß die Hügelkette, das Heimatdorf versteckt und vergessen, unauffindbar, unbestimmbar verloren zwischen den zahllosen Furchen des Tieflandes, versunken im Hintergrund. Immer schärfere Zacken säumen den Fels, der Sand rieselt vom Berg, Lenart nähert sich ihnen, in den Eingeweiden rumort, spannt und drängt es.
Sie verdrücken sich nach verschiedenen Seiten vom Weg und verschwinden im Jungwuchs, damit einige noch vor der Verrichtung ihre eigene Verrichtung erledigen und für den Rest des Tages Ruhe haben, andere tun sich an den Schwarzbeeren und Himbeeren gütlich. Bisher konnten sie auf ihrem Weg nur manchmal im Vorübergehen ein paar Beeren pflücken, doch hier ist die Aufstiegskette unterbrochen und schließt sich erst wieder nach dem Rufen und dem kreuz und quer vom Abhang und aus den Felswänden verhallenden Echo. Nun ist der Steig der Weg, der Weg der Steig, der nicht mehr als einen aufnimmt: Kaum zu Paaren formiert, werden sie wieder zu Einzelnen halbiert.
Zwei Pfähle oder drei ist Mittag schon vorbei, als sie sich den letzten Bergkamm vornehmen, um einige Pfähle später ist es, und wie es scheint, werden sie in die Nacht hineinkommen. Die Verspätung hat sich jetzt buchstäblich zum Steig verengt, an ihm entlang stolprig kriechende Äste, und die im Graben unten noch über die ganze Straße wallende Menschenmenge wird jetzt dünner, jeder zwängt sich einzeln und auf eigene Faust durchs Dickicht, schiebt sich durch das verwachsene Nadelöhr, mit den Händen die Augen schützend und Spinnweben, Äste vor dem Gesicht wegfegend, zu Füßen das bleiche Geröll, der Steig eine einzige, vom Regen ausgeschwemmte Rinne, das Gras braungelb, an den Rändern Heidekraut und das Grün der Nieswurzblätter. Nur nuch ein Weibsknie liegt vor ihnen.
Deutsch von Johann Strutz
Die Regenprozession und andere Prosa. Wieser, 2007.
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[Die Verweigerung der Wehmut]
Die Hände hatte sie voll mit Teig gehabt, als die kamen, um sie zu holen. Sie waren ganz einfach ins Haus geplatzt, hatten alle Winkel durchsucht, alle Einrichtungsgegenstände durcheinandergeworfen. Die Kinder wohnten dem Kneten bei rund um die Knetwanne, erfüllt von der Verheißung, bald etwas in den Mund zu stecken zu haben, die Fingerchen am Trogrand und auf den Fingerchen die Köpfchen, verwundert, über der platzenden grauen Masse im Teigtrog. Nun drehten sie in unklaren Ahnungen ihr Köpfe nach dem Durcheinanderwerfen der bösen Ankömmlinge. Schon vorvorgestern waren die Nahrungsmittel im Haus ausgegangen, doch die Mutter hatte nicht die Zeit gefunden: Die Arbeit hatte sich allzusehr aufgetürmt, hatte das Tagelöhnen weit in den Abend hinausgezögert. Die Tagelöhnerin hatte einen Laib mitgebracht von ihrem Tagwerk, heute hatte sie selbst einen Teig angerührt. Da waren sie sie holen gekommen: Ein paar trieben sie von hier fort, ein paar schlossen den Hof ein, ein paar hielten so gut es nur ging von fern Wache. Lange nahm die Mutter die Arme nicht aus der Knetwanne, sie versenkte sie im Teig, zur Gänze neigte sie sich in die Knetwanne, selbst die Fingerchen vom Rand zog sie zu sich in den Teig, verknetete sie und mischte, vermischte und knetete sie, als könnte sie durch das Vermischen die Männer verwirren, vertreiben, als könnten die teigigen Hände das Unheil abwenden. Doch die Männer ließen sich nicht erweichen, sie ließen nicht zu, daß der Laib in den Ofen geschoben würde.
Die Mutter nahm die Arme aus dem Backteig, und als sie sie an der Knetwanne abstreifte und den Teig von den Fingern las, hielt das Haus noch zusammen, stand es noch auf vier Ecken. Für unterwegs fing sie aus dem Kasten einige Dinge zusammen, doch die Männer zertraten alles, wüteten, weil sie schon spät dran waren und die Frau noch immer nicht aus dem Haus geschafft hatten. Die Kinder hielten, auch nachdem die Mutter sich schon aus dem Teigtrog gelöst hatte, weiterhin ihre Fingerchen im Teig und klammerten sich an diese warme Teigfestung. Jetzt war das Haus schon nicht mehr zu retten, begann auf einen Haufen zusammenzustürzen, und schon damals, als es zusammenzustürzen begann, stürzte es endgültig über ihren Köpfen zusammen: Ins Dorf müsse sie gehen mit den Wachleuten, die wollten sie auf dem Posten über irgendwas befragen; für das Nachtmahl sollten sie einstweilen Wasser aufsetzen, damit es siede, wenn sie heimkomme, und sogleich werde sie das Nachtmahl bereiten, auch den Brotteig werde sie vielleicht noch aus der Knetwanne holen und in den Backofen schieben, sonst würde sie eben anderntags beim Tagelöhnen ein Scherzel aushandeln, damit das kleine Volk nicht hungern müsse. Sie sollten warten und das Siedewasser in der Kasserolle begießen, bis sie kommen werde, denn erledigen wolle sie es geschwind, und das Feuer im Sparherd sollten sie am Leben erhalten, vorsichtig sollten sie zu Werk gehen und die Älteren sollten nach den Jüngeren sehen. Mit den Soldaten gehe sie nun ins Tal, denn auf dem Posten verlange man nach ihr, und da werde sie die Gelegenheit nützen und versuchen, etwas Besseres zum Beißen aufzutreiben, wenn sie schon im Dorf sei, das sei so entlegen und der Weg dorthin so furchtbar lang; für jeden einzelnen werde sie eine Freude ausfindig machen und, nein, nicht mit leeren Händen zurückkehren, sie mögen nur abwarten, bis sie komme, und sollte sie sich auch etwas verspäten …
Deutsch von Fabjan Hafner
Die Verweigerung der Wehmut. Klagenfurt: Wieser, 1997.
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[Die Beseitigung meines Dorfes]
Die Dörfler brachten ihren Mund nicht auf, als die Männer ihre Last ins Dorf brachten. Eine bittere Frucht schnürte ihre Münder zu, doch die Erinnerung löste ihre Zungen: Hatten sie nicht vor Jahren haargenau so entlang den Häusern in stummem Spalier dagestanden, als der Aschentransport im Dorf eingelangt war? Von den Gebäuden her zur Mitte hin hatten sie den Platz eingenommen und nur rund um den Mittelpunkt das Pflaster freigelassen, an die Wände hatten sie sich gepreßt, um im Zentrum der Betrübnis Platz zu machen. Als sie dabei waren, den Platz mit Trauer einzudecken, noch ehe sie ihn zur Gänze eingedeckt und ihr nur Platz gemacht und auch sich selbst in sie gehüllt hatten, langte der Leichenwagen auf der Kahlfläche an. Zwei Mann zogen hinten aus ihm die Trage auf die Lichtung, auf der Trage lag ein Kupferschrein, der Schrein ließ aller Augen übergehen: Vom gleißenden Metall troff Sonnenschein in hunderterlei Kaskaden, ließ die Augen funkeln, straffte die Gesichter und stopfte Klöße in die Kehlen. Die Sanduhr kam in Gang, ihr Räderwerk in Fluß, aus dem Schrein drang ein Sandgesause, aus den Aschenkörnern fügten sich Leiber, Schnallen schnappten, Weiber verhedderten sich in Kerle, Häkchen in Großmütter, Körnchen verschmolz mit Körnchen, Schichten nahmen Gestalt an, hohle Körper begannen säuselnd aus dem Staub aufzustehen, in der Luft zitternd wie Espenlaub, bebend, sanft, nur hier und da wie von Spinnweben zusammengehalten, jederzeit zerstieb-, zerstäub-, vernichtbar; im Gesause kamen Leichen wieder auf die Beine und näherten sich allen Ecken und Enden des Platzes, an denen die Ihren standen. Vom zeitlosen Gang, von der Bewegungsweise der Leichen konnten sie ablesen, daß sie aus fremden, fernen Gegenden, aus fremden, fernen Zeiten stammen, daß sie ewig sind, ewig in ihrer Hinfälligkeit; Gestalten aus versunkenen Tagen wuchsen aus dem Kupfer, durchscheinend wie ein Windhauch, wegzuwehen, und doch mit ausreichend erhaltenen Zügen, daß die Angehörigen in ihnen ihre Vorfahren erkennen konnten. Die Dörfler sahen sie ihnen die Arme entgegenrecken, nicht die einstigen, warmen, ganzen, sondern erkaltete, völlig verstümmelte; sie hörten das Knirschen der Asche aus den Gliedern, den Gelenken, das Knattern hörten sie heraus, und auch selbst hätten sie beinahe mit den Armen gezuckt, sie konnten sie gerade noch zügeln. Doch zum Glück fuhren sie angesichts der ihnen entgegengereckten Hohlheit zusammen, sie erschauerten vor ihrer Spinnwebleichtigkeit, und nur wenig hätte gefehlt, und sie hätten mit den Armen, dem Gesicht, mit Worten ihm, dem Ihren, in die Leere gelangt. Sie schauten nur, schauten jeder staunend seine Aschengestalt, stachelten sie mit funkelnden Augen zum Leben an, zur Leiblichkeit, doch drang der Stachel nicht tief genug. Nicht einmal mit dem Augapfel zuckten sie, wohl wissend, daß sie nur so das Veraschen aufhalten und das Hochkommen der Erinnerung verlängern könnten, denn ein einziges Wimpernzucken würde die Gestalt blitzartig in sich zusammenstürzen lassen; die erste durch eine Handbewegung verursachte sanfte Brise würde ihr Gewebe zu einer Prise Staub verwehen, die man auf dem Pflaster zusammenhaschen müßte und mit der Kuppe eines einzigen Fingers auflesen könnte.
Deutsch von Fabjan Hafner
Die Beseitigung meines Dorfes. Wieser 1997.
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Das Wintersonnenblumenspiel
Aus: Črtice mimogrede, 1964
Im Nagelbeben zerfiel der Fingerdiemen zu Gemenge. Seine Siele wurden entriegelt, und der Damm vor dem Mädchenhals barst. Die prallen Brüste wurden von Bänden geweißt. Meine Stimme brachte man auf einem Zweirad aus dem Zimmer. Ich nahm das Flüstern vom Bügel und legte es um meinen Hals. Aus den Dielen zapfte man Helle, fegte sie zusammen und brachte sie auf eine Halde, wo Finsternisse sie benagten. Aus ihnen wirken sie einen Pelz für die Kälte.
Sie entzündete alle Stubenwinkel. Sie brachen aus der Windstille aus und blieben saft- und kraftlos hängen mitten im Dämmer. Gewaschene Mädchenwäsche sickerte aus dem Dämmer in den Raum. Aus der Strickwiege, die Gestirne von Wand zu Wand löschte, verströmte er duftige Frische. In dieser Luft erfüllt sich der Leib randvoll mit Liebreiz. Aus allen Wäschestücken atmeten schmiegsame Glieder. Die Wäsche ist ihre Art zu sprechen.
Durch die braungebrannten Ofenfinger prasselt ein Rosenkranz Brennholz. Dem Feuerbeten antworten die Froststapfen auf den Fensterscheiben. In den Wärmeschalen duftet es behaglich. Das Zimmer ist aus süßer Chicorée. Im Zitronentee sind Hörnchenaugen. Der Hörnchenleib ist ein Holzschuppen. In seinen Mund wirft der Winter Schneebälle. Der katakombengekappte Pfad liegt hintüber.
Ein weißer Heubaum hat sich auf das Dach gelegt. Er ist durch die Fenster mit dem Boden vertäut. Das Heu tost unter den Frostriemen. In den Stauden erstarrten die Adern. Aus unseren Blutbahnen zog man Stricke Basaltblut.
Der Blutfluß birgt blaubrauige Sonnenblumen. Von der Tenne prasselte die Windsbrut und zermalmte die düsteren Schwaden darüber, und Blut floß. Eine Schar Kupfervögel segelte tief über dem Lehmboden, ihre Schwingen spiegeln das Blut der gepflügten Schwaden. Es heftete sich an unsere Sonnenblumen.
Auf den Gelbblumenböschungen sprießen Honigbrüste. Schwül sind sie und zu farbhell für unsere heutige Nachtung. Deine Haut ist ein unfüllbarer Kelch, meine Haut ist vergeßlich. Alle Vergessensstränge hallen in ihr. Den Meeresstrand müssen wir an die Hautoberfläche lächeln. Über der Bettstatt las die Zimmerdecke Nüstern in Boote.
Am Morgen wurde auf dem Zweirad meine Stimme zurückgebracht. Das Flüstern hängte ich an die Wand. Während des Ankleidens wankten seine feinen Fäden. Ich räumte die Trümmer weg, die beim Fingerbeben entstanden waren. Dann machten wir das Schweigen los und lüfteten die Stille. Überall schmunzelten die Fäuste verwunschener Wesen. Sie löschte die Winkel.
Kleine weiße Stege rieselten an den Fenstern vorbei. Ich schob sie unmerklich weg, und durch das Flußbett zwischen den Händen brandeten Eispfeiler. Das Feld war mit weißen Blitzen festgezurrt, das Haus in weißere Windeln gehüllt. Die Bäume kehrten an ihre angestammten Plätze zurück. In den Hachsen lagen wieder Friedenssärge und Händevoll Einsamkeit. Von der durchwachten Nacht gähnig lehnten sie mit der Schulter am Haus. Sträucher und Jungobst kauerten im Rauhreif.
Der Schnee umzingelte den neuen Tag. Wir wateten die ersten Schritte hinein. Der weiße Heubaum auf dem Dach rammte uns noch tiefer in den Boden.
Deutsch von Fabjan Hafner
Lipuš lesen. Wieser Verlag, 2000.
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[Der Zögling Tjaž]
Das Internat hat alles getan, was in Tjaž’ Fall möglich war, es hat ihn erzogen und ihm wegen seiner Schwererziehbarkeit und seines hartnäckigen Beharrens im Bösen unerhört viel Sorge und Zeit gewidmet, wie wir feststellen können, sogar mehr als allen anderen, die es seinetwegen vernachlässigen mußte, es hat ihm Ratschläge gegeben, ihm nützliche Lehren fürs Leben erteilt, es im Guten und im Bösen versucht, kurz, es hat alles unternommen, nicht bloß, damit Tjaž lebe, sondern lebe, wie es sich für einen getauften Menschen gehört, und wenn er jetzt noch lebte, so könntet ihr ihn selber fragen, ob er sich an diese Lehren gehalten hat, und wenn nicht, warum nicht, und so weiter, seine krummen Wege haben ihn nicht bereichert, und das Internat ist daran nicht ärmer geworden, der Tjaž glaubte sich zu ändern und blieb derselbe, nur daß er sich zusätzlich noch Schmach auflud, er wurde um dasselbe Maß gestutzt, um das er wachsen wollte. Die Leute sind ungeschickt und finden sich draußen allein nur selten zurecht, besonders, wenn das Heim nicht genug Gelegenheit hatte, den Menschen darauf vorzubereiten, das Internat hat seinen Tod nicht verschuldet, bei uns hat er so etwas nicht gelernt, solche Dinge versuchen wir zu verhindern, soweit es in unserer Macht steht, wir sind kein Begräbnisklub und kein Bestattungsverein. Wenn man es so nimmt, ist er an allem selbst schuld, weil er sich nicht das richtige Maß an Freiheit zu nehmen wußte, bei uns hat er von ihr nur im kleinen empfangen, jedesmal gerade so viel, daß man sich davon einen Tropfen mehr wünschte, wenn sie entzogen wurde, sie hat befriedigt und wiederum nicht befriedigt, weil man gerade wegen jenes vorenthaltenen Tropfens sie sich von neuem wünschte, sozusagen dosiert, je nachdem, was der Mensch verträgt, ohne Schaden zu erleiden, in der richtigen Menge also, so wie es Gott will, der Tjaž aber hat sich an der Freiheit überfressen, anders kann man seine Abenteuer nicht bezeichnen als mit dem häßlichen Wort »überfressen«, das waren auch die Gründe, daß er »zu den Krebsen pfeifen ging«, jetzt pfeift er den Krebsen, wie es ihm gebührt, er hat sich beim Fressen übernommen, er hat sich aufgeführt »wie das Schwein mit der Harmonika«, er war dem Leben in der Freiheit nicht gewachsen, er fand weder Maß noch Mitte, daher sah er das Heil im Selbstmord, er glaubte, sich nur so für den Internatsabgang entschuldigen zu können, vor dem eigenen Gewissen und vor der öffentlichen Meinung. Wahrscheinlich haben zu einem solchen Verhalten auch bestimmte Komplexe beigetragen, die verbunden waren mit der herkunftsmäßigen Unausgeglichenheit, was man als mildernde Umstände anrechnen muß, die Freiheit des Wortes, der Meinung, des Denkens, der Entscheidung und des Handelns haben auch wir ihm gegeben, selbstverständlich im Sinne der Hausordnung, Ordnung muß sein, in deren Grenzen waren alle Freizügigkeiten möglich, in diesem Rahmen konnte er sich die widersprüchlichsten Auslegungen der Bestimmungen und Vorschriften erlauben, die alle der christlichen Sorge für unsere Jugend entspringen, was allgemein bekannt ist, und die an die lauen Christen gerade deswegen ziemliche Anforderungen stellen, das geben wir zu und rechnen wir an, soweit es geht. Freilich aber tut es not, stets mehr zu fordern, um wenigstens ein wenig zu erreichen, ihr könnt euch selbst vom christlichen Geist überzeugen, der aus allen Bestimmungen und Vorschriften der Hausordnung weht, zum Beweis dessen zitieren wir wörtlich die vom bischöflichen Ordinariat genehmigten Texte, solch ein wörtliches Zitieren erscheint uns statthaft, um solcherart die Hausordnung aus erster Hand zu offenbaren, also in einer unberührten und unbefleckten, sozusagen jungfräulichen Form, soweit sie der breiten Öffentlichkeit noch nicht bekannt ist, und es kann uns keiner mehr unterstellen, daß wir sie mutwillig verdreht haben.
Deutsch von Peter Handke
Der Zögling Tjaž. Wieser 1997.
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Das Wintersonnenblumenspiel
Aus: Črtice mimogrede, 1964
Im Nagelbeben zerfiel der Fingerdiemen zu Gemenge. Seine Siele wurden entriegelt, und der Damm vor dem Mädchenhals barst. Die prallen Brüste wurden von Bänden geweißt. Meine Stimme brachte man auf einem Zweirad aus dem Zimmer. Ich nahm das Flüstern vom Bügel und legte es um meinen Hals. Aus den Dielen zapfte man Helle, fegte sie zusammen und brachte sie auf eine Halde, wo Finsternisse sie benagten. Aus ihnen wirken sie einen Pelz für die Kälte.
Sie entzündete alle Stubenwinkel. Sie brachen aus der Windstille aus und blieben saft- und kraftlos hängen mitten im Dämmer. Gewaschene Mädchenwäsche sickerte aus dem Dämmer in den Raum. Aus der Strickwiege, die Gestirne von Wand zu Wand löschte, verströmte er duftige Frische. In dieser Luft erfüllt sich der Leib randvoll mit Liebreiz. Aus allen Wäschestücken atmeten schmiegsame Glieder. Die Wäsche ist ihre Art zu sprechen.
Durch die braungebrannten Ofenfinger prasselt ein Rosenkranz Brennholz. Dem Feuerbeten antworten die Froststapfen auf den Fensterscheiben. In den Wärmeschalen duftet es behaglich. Das Zimmer ist aus süßer Chicorée. Im Zitronentee sind Hörnchenaugen. Der Hörnchenleib ist ein Holzschuppen. In seinen Mund wirft der Winter Schneebälle. Der katakombengekappte Pfad liegt hintüber.
Ein weißer Heubaum hat sich auf das Dach gelegt. Er ist durch die Fenster mit dem Boden vertäut. Das Heu tost unter den Frostriemen. In den Stauden erstarrten die Adern. Aus unseren Blutbahnen zog man Stricke Basaltblut.
Der Blutfluß birgt blaubrauige Sonnenblumen. Von der Tenne prasselte die Windsbrut und zermalmte die düsteren Schwaden darüber, und Blut floß. Eine Schar Kupfervögel segelte tief über dem Lehmboden, ihre Schwingen spiegeln das Blut der gepflügten Schwaden. Es heftete sich an unsere Sonnenblumen.
Auf den Gelbblumenböschungen sprießen Honigbrüste. Schwül sind sie und zu farbhell für unsere heutige Nachtung. Deine Haut ist ein unfüllbarer Kelch, meine Haut ist vergeßlich. Alle Vergessensstränge hallen in ihr. Den Meeresstrand müssen wir an die Hautoberfläche lächeln. Über der Bettstatt las die Zimmerdecke Nüstern in Boote.
Am Morgen wurde auf dem Zweirad meine Stimme zurückgebracht. Das Flüstern hängte ich an die Wand. Während des Ankleidens wankten seine feinen Fäden. Ich räumte die Trümmer weg, die beim Fingerbeben entstanden waren. Dann machten wir das Schweigen los und lüfteten die Stille. Überall schmunzelten die Fäuste verwunschener Wesen. Sie löschte die Winkel.
Kleine weiße Stege rieselten an den Fenstern vorbei. Ich schob sie unmerklich weg, und durch das Flußbett zwischen den Händen brandeten Eispfeiler. Das Feld war mit weißen Blitzen festgezurrt, das Haus in weißere Windeln gehüllt. Die Bäume kehrten an ihre angestammten Plätze zurück. In den Hachsen lagen wieder Friedenssärge und Händevoll Einsamkeit. Von der durchwachten Nacht gähnig lehnten sie mit der Schulter am Haus. Sträucher und Jungobst kauerten im Rauhreif.
Der Schnee umzingelte den neuen Tag. Wir wateten die ersten Schritte hinein. Der weiße Heubaum auf dem Dach rammte uns noch tiefer in den Boden.
Deutsch von Fabjan Hafner
Lipuš lesen. Wieser Verlag, 2000.
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